Gesamtkunstwerk aus
Wort und Bild
Aus der antiken Architektur kennen wir Inschriften auf Gebäuden und Monumenten, Grabsteinen oder Statuen. Diese „Aufschriften“ hatten die Funktion zu weihen, ehren, gedenken oder zu beschreiben. Dadurch wurden den beschrifteten Gegenständen Wertschätzung, Würde, Erhabenheit, Achtung und Respekt bezeugt. Das verwendete Material und die Technik spielten in der ästhetischen Wirkung eine große Rolle – in Stein gemeißelt, in Metall graviert, auf Mauerwerk oder Holz geritzt, gekratzt oder gemalt.
HI. Johannes der Täufer, um 1330, Steintafel vom ehemaligen Würzburger Johanniterhof in der Augustinerstraße
Leihgabe der Freunde Mainfränkischer Kunst und Geschichte e.V., Würzburg im Museum für Franken in Würzburg, Fotoarchiv
Die Inschrift erinnert an die Stiftung des Gebäudes durch Heinrich von Grünsfeld im Jahre 1330.
MITTELALTER
Bilderrahmen als Inschriftenträger scheinen eine natürliche Weiterentwicklung architektonischer Inschriften zu sein, eng verbunden mit der Altarentwicklung im Mittelalter. Aufwendig geschnitzte und mit mehrteiligen Flügeln konstruierte Altäre (Polyptychen; meist Triptychen) standen an Wänden oder frei im Kirchenraum. Die Rahmen waren Teil der Gesamtkonstruktion und hatten die Aufgabe, die Bildtafeln nicht nur zu stabilisieren und zu schützen, sondern je nach Festtag, Bildflächen zu öffnen oder zu schließen.
Auferstehungsaltar aus Arnstadt, um 1430, Unbekannter Künstler
Gemäldegalerie, Berlin, Foto: Kunstbeziehungen
Triptychon mit Kopie der Gnadenmadonna von S. Maria del Popolo in Rom, Augsburg um 1490 – 1495, Unbekannter Künstler
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Foto: Kunstbeziehungen
Die Kirche war im Mittelalter meist auch Auftraggeber für Gemälde. Inschriften auf Rahmen beschrieben daher die christlichen Motive. Das Schreiben war zu der Zeit noch ein Privileg der Kirche. Nahezu jedes Kloster besaß eine Schreibstube, das Scriptorium, in dem Mönche die Kunst des Schreibens und Illustrierens beherrschten. In den illuminierten Handschriften von Manuskripten und Büchern finden wir auch die unmittelbare Verbindung von Text und Bild. Eine Adaption dieser Verbindung auf die Rahmen scheint selbstverständlich. Inhaltlich waren die Beschriftungen rein religiöser Natur, ob es sich um Altarbilder oder Reliefs, um biblische Geschichten, Heiligenlegenden, die Ehrung von Stiftern oder Allegorien christlicher Tugenden handelte.
Die polychrom gefassten oder vergoldeten Holzrahmen waren entweder aus schlichten Leisten mit geraden und linienförmigen Profilen gefertigt oder bestanden aus Rahmenleisten mit geschnitzten gotischen Ornamenten ähnlich wie in der Architektur. Oft wurden Tafel und Rahmen aus demselben Holz geschnitzt und bemalt. Die Farbgebung der Rahmen spiegelte die der Bilder wider.
Gothaer Tafelaltar, um 1538, Heinrich Füllmauer
Herzogliches Museum Gotha, Wikimedia, Foto: Werner Murrer
Die Inschriften befanden sich meist auf dem Sockel zwischen Hauptgeschoss und Predella oder auch rings um die Tafel. Sie waren entweder als Radierung, mit der Pastiglia-Technik ausgeführt oder polychrom gefasst. Die vorherrschende Schriftenart im späten Mittelalter war die Unziale in diversen landestypischen Formen, geschrieben wurde meist auf Latein.
Triptychon, 1388, Agnolo Gaddi
Gemäldegalerie, Berlin, Foto: Kunstbeziehungen
Ein markantes Rahmenmerkmal aus dem Mittelalter ist der „Wasserschlag“. Ein Relikt aus der Architektur, wobei der untere Rahmenschenkel abgeflacht ist, wie beim Fenstersims – eine Assoziation an den Blick in den göttlichen Himmel ist naheliegend. Der Wasserschlag ist auf Altarrahmen oder Heiligenbildnissen bis in die Renaissance oft zu finden und bildete eine ideale Fläche für Inschriften unterhalb des Bildes.
Maria als Schmerzensmutter, 1495, Hans Holbein der Ältere
Gemäldegalerie, Berlin, Foto: Kunstbeziehungen
Beschriftung: Ego mater pulchræ dilectionis, et timoris, et agnitionis, et sanctæ spei. In me gratia omnis viæ et veritatis : in me omnis spes vitæ et virtutis. Transite ad me, omnes qui concupiscitis me, et a generationibus meis implemini. (Jesus Sirach, Kap. 24, Vers 24-26:)
Übersetzung: Ich bin die Mutter der schönen Liebe und der Angst, und des Wissens und der heiligen Hoffnung. In mir ist alle Gnade des Weges und der Wahrheit; In mir ist alle Hoffnung auf Leben und Tugend. Kommt zu mir, alle, die ihr mich begehrt, und ihr werdet von meinen Schöpfungen erfüllt.
Bildnis einer jungen Frau (Sibylla Sambetha), 1480, Hans Memling
St. John’s Hospital, Brügge, Wikimedia
Beschriftung untern im Trompe-l’œil Stil: ECCE BESTIA CONCVLCABERIS, GIGNETVR D[OMI]N[U]S IN ORBEM TERRARVM ET GREMIUM VIRGINIS ERIT SALVS GENTIVM, INVISIBILE VERBV PALPABITVR
Übersetzung: Siehe, du [Un-]Tier wirst zertreten werden [und] der Herr wird geboren werden auf den Erdkreis und der Schoß der Jungfrau wird das Heil der Völker sein; das unsichtbare Wort wird greifbar werden
RENAISSANCE
Die Renaissance war die Zeit des Umbruchs vom Mittelalter zur Neuzeit. Sie war von dem Bemühen um eine Wiederbelebung der griechischen und römischen Antike sowie dem Aufblühen der Wissenschaften gekennzeichnet. Ausgehend von den Städten Norditaliens beeinflusste sie Kunst, Kultur und Wissenschaft auch nördlich der Alpen.
Ein früher Rahmentypus aus der Renaissance ist der Tabernakel- oder Aedikularahmen aus Italien. Sein architektonischer Bezug zum Fenster oder Tempel ist offensichtlich. Reich geschnitzt mit aus der Antike nachgeahmtem Säulenaufbau, Architrav und Giebeldach. Sehr häufig umrahmte er das Motiv von Maria mit Kind und wurde unter anderem beschriftet mit „Ave Maria Gratia“. Bildmotive konnten auf Holztafeln gemalt oder in Marmor gearbeitet sein. Die Beschriftungen erinnern an Inschriften aus der Monumentalarchitektur, in der Schriftart Kapitalis Monumentalis. Die rein in Großbuchstaben geschriebenen Lettern standen entweder im Architrav oberhalb des Bildes oder auf dem Sockel darunter. Die meisten Inschriften erscheinen in Sgraffito-Technik in Gold auf polychrom gefasster Oberfläche.
Links: Maria mit dem schlafenden Kind, um 1465 – 1470, Andrea Mantegna, Rahmen nicht original, Bode-Museum, Berlin, Wikimedia
Mitte: Maria und Kind mit Hl. Hieronymus und Maria Magdalena, ca. 1490, Neroccio de‘ Landi, MET Museum New York
Rechts: Maria mit Kind, 1466-1467, Sandro Botticelli, Uffizien, Florenz
Hatte der Bilderrahmen anfänglich eine rein stützende Funktion, so fand im 15. Jahrhundert die Konstruktion und Dekoration des Rahmens immer mehr Aufmerksamkeit. Die Auseinandersetzung mit Perspektive, Proportion, Mensch und Natur spiegelte sich sowohl in den Gemälden als auch am Rahmen wider. Im Besonderen brachte der Humanismus neue Bildinhalte und Techniken. Aus den Zünften der Schreiner, Zimmermänner, Bildhauer, Drechsler und Vergolder entstanden immer mehr Werkstätten, die sich auf das Rahmenhandwerk spezialisierten. Die Zusammenarbeit von Rahmenmachern und Malern in den Künstlerwerkstätten der Renaissance war naheliegend. Bilder und Rahmen gehörten immer noch zusammen.
Pilatus zeigt Christus dem Volk, 1518 -1520, Quentin Massys
Prado Museum, Madrid, Foto: Museo Nacional del Prado
Beschriftung: O VOS OMNES qVI / TRANSITIS PER VIAM/ ATTENDITE & VIDETE/ SIEST DOLOR SICVT DOLOR MEVS (Altes Testament, Klagelieder, Kap.1, Vers 12.)
Übersetzung: O ihr alle, die ihr auf dem Weg vorbeigeht, gebt acht und schaut, ob es einen Schmerz gibt, der wie mein Schmerz ist!
Die italienischen und spanischen beschrifteten Cassettarahmen zeigen die neuen Einflüsse der Zeit deutlich. Um die Perspektive noch stärker zum Bild zu lenken, wurden Rahmenprofile von außen nach innen abfallend konstruiert. Sie säumten platte Flächen, die den geeigneten Platz für feine Ornamente und Inschriften rings um das Bild boten. Diese Flächen wurden vergoldet, versilbert oder polychrom gefasst. Mit reichen Ornamenten und Beschriftungen in der Sgraffito-Technik versehen, wurden sie auch oftmals zusätzlich punziert oder bemalt. Beschriftungen fielen sehr dekorativ, farbig und textlich umfangreich aus. Inhaltlich bestanden sie aus Psalmtexten, die typografisch zwar vorwiegend noch in der Tradition der Kapitalis standen, aber schon deutliche Stilelemente der fein gezeichneten Lettern der Venezianischen Renaissance-Antiqua aufweisen. Ihren Charakter beziehen sie aus den Serifen und dem „Fett-Fein-Kontrast“ in der Linienführung. Typisch für die Zeit ist die Mischung von Merkmalen aus der Monumental- und Handschrift. Ligaturen haben beispielsweise eine lange Tradition in handgeschriebenen Texten. Hier besonders zweckmäßig, um den vorhandenen Platz auf den Rahmenleisten ganz auszunutzen.
Im Übergang von mittelalterlichen Handschriften zu beweglichen Metalllettern entstanden viele Vorreiter der heutigen Antiqua-Schriften. Venedig war Mitte des 15. Jh. ein Zentrum der ersten Buchdruckereien. Hier trafen sich Gelehrte, Verleger und Drucker aus ganz Europa, um Texte zu drucken und Schriften ständig weiterzuentwickeln. Conrad Sweynheym, Arnold Pannartz, Nicolas Jenson und die Gebrüder von Speyer gehörten zu den bedeutensten Schriftentwerfern und waren beteiligt an der Entwicklung der ersten überzeugenden Antiqua, der Renaissance-Antiqua. Der italienische Humanist, Verleger und Typograf Aldus Manutius verfeinerte sie zu der am häufigsten verwendeten Type.
Verschiedene Rahmeninschriften der Cassettarahmen auf Latein oder Spanisch mit Ligaturen.
Foto: Tanja Lemke-Mahdavi
In Mittel- und Nordeuropa war die Gotik noch die vorherrschende Stilrichtung auch in der Typografie. Sie fand ihren Ausdruck in gebrochenen Handschriften wie Uncialis, Textur, Rotunda, Bastarda, Schwabacher und gotischer Minuskel. Die Weiterentwicklung und Verbreitung der Schriften in Europa wurden anfänglich durch die Kreuzzüge und umherziehende Mönche angetrieben, im Spätmittelalter war der Kulturaustausch immer mehr auch durch das Handwerk und die Gründung von Universitäten geprägt. Viele Renaissancekünstler wie beispielsweise Jan van Eyck, Albrecht Dürer, Quinten Massys, Frans Floris arbeiteten über ihre Landesgrenzen hinweg in ganz Europa und trugen zu dem Austausch in Kunst, Handwerk und Wissenschaft bei.
Diptychon über Jean Carondelet, 1517, Jan Gossaert
Louvre Museum, Paris, Foto: Wikimedia
Beschriftung links: REPRESENTACION DE MESSIRE IEHAN CARONDELET HAULT DOYEN DE BESANCON EN AGE DE 48 A
rechts: MEDIATRIX NOSTRA QUE ES POST DEUM SPES SOLA TUO FILIO ME REPRESENTA IOHANNES MELDOBIE PINGEBAT
Übersetzung links: Darstellung des Herrn Jean Carondelet, Hoher Dekan von Besançon, im Alter von 48 J — Gemacht im Jahr 1517
rechts: Unsere Vermittlerin, die Du nach Gott die einzige Hoffnung bist, führe mich Deinem Sohn vor Augen — Johannes aus Maubeuge (auf deutsch: Malbode) [=Jan Gossaert] malte es
Die Typografie auf den Beschrifteten Rahmen zeigt diese Einflüsse deutlich. Einerseits finden sich regionale Unterschiede in den Vorlieben der Schrifttypen, wie zum Beispiel die feinen Antiqua-Schriften auf den italienischen Cassettarahmen im Gegensatz zu deutschen Inschriften mit der Vorliebe zur Fraktur-Schrift. Andererseits setzten sich auch Schreibweisen über Grenzen hinweg durch, wie die humanistische Antiqua auf niederländischen, deutschen oder italienischen Rahmen, geschrieben meist in lateinischer Sprache.
Auch im Rahmenhandwerk selbst gab es regionale Merkmale wie die Holzarten, die Bauweise und nicht zuletzt die Entwicklung der Oberflächengestaltung. Während zum Beispiel italienische Rahmen fein geschnitzt, golden und polychrom gefasst und reich an Ornamenten waren, zeichneten sich niederländische Rahmen in der Renaissance eher durch ihre Schlichtheit und Strenge aus.
Kaiser Karl der Große, um 1511/13, Albrecht Dürer
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Foto: Germanisches Nationalmuseum
Beschriftung: Dis ist der gstalt vnd biltnus gleich / kaiser karlus der das Remisch reich. Den teitschen under tenig macht / Sein kron vnd klaidung hoch geacht / zaigt man zu nurenberg alle Jar / Mit andern haltum offenbar
Auch deutsche Künstler wie Albrecht Dürer setzten sich intensiv mit Schrift auseinander. Sein Bildnis von Karl dem Großen ist mit einer Inschrift auf dem Rahmen versehen, geschrieben in der Fraktur-Schrift. Dürer arbeitete mit dem Nürnberger Schreibmeister Johann Neudörffer dem Älteren zusammen, welcher Anfang des 16. Jahrhunderts maßgeblich zur Entwicklung der deutschen Fraktur-Schrift beitrug. Der Maler Nicolas Neufchâtel hingegen beschriftete sein Portrait von Neudörffer in einer klassischen Antiqua-Schrift.
Der Nürnberger Schreibmeister Johann Neudörffer mit einem Schüler, 1561, Nicolas Neufchâtel
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Foto: Kunstbeziehungen
Beschriftung: IOANES NEVDORFː PER EVROPᾹ VNIVERSᾹ ῙFINITA DISCIPVLO℞ ARITHMETICES / GRAPHICES MVLTITVDINE CELEBRIS INCŌPARABILIS INDVSTRIÆ EXĒPLAR / MAGNŪ ORNAMĒNTŪ PATRːREIPːNORIBːCVI DESIDERATISSːCIVIS EFFIGIĒ V.ÆTAT.LXIII. / AVTOR NICOLAVS DE NOVO CASTELLO.HOSPES.GR.ER.DD.AN.M.D.LXI.
Übersetzung: Johannes Neudörffer, berühmt über ganz Europa durch die unendliche Menge seiner Schüler der Mathematik und Schreibkunst, ein unvergleichliches Beispiel des Fleißes, eine große Zierde seines Vaterlandes, der Republik Nürnberg, welcher das lebensechte Bildnis des höchst begehrten Bürgers im Alter von 63 Jahren der Urheber Nicolaus Neuchâtel, ein Gast, aus Dankbarkeit gewidmet hat im Jahr 1561.
Portrait der Familie van Berchem, 1561, Frans Floris
Stedelijk Museum Wuyts-Van Campen en Baron Caroly, Lier/Belgien, Foto: Wikipedia
Beschriftung: VT NIL CONCORDI THALAMO FELICIVS OMNI IN VITA ESSE POTEST ET SINE LITE TORO SIC MAGE IVCVNDVM NIHIL EST QVAM CERNERE GNATOS CONCORDEIS NIVEO PECTORE PACE FRVI. 1561
Übersetzung: Wie nichts im ganzen Leben glücklicher sein kann als ein einträchtiges Gemach und ein Bett ohne Streit, so ist nichts erfreulicher als die einträchtigen Nachkommen zu schauen, wie sie reinen Herzens den Frieden genießen. 1561
Neben der Kirche fand der Bilderrahmen nun seinen Einzug auch in bürgerliche Häuser. Hausaltäre aber auch Selbstporträts wohlhabender Bürger fanden immer mehr Anklang. Auch Textinhalte änderten sich mit dem Aufkommen der Porträtmalerei in der Renaissance. Es fällt auf, dass je humanistischer der Auftraggeber oder Künstler waren, desto weltlicher fielen die Rahmentexte aus. Kleinformatige Tafelbilder, meist als Diptychen konstruiert, wiesen im offenen oder geschlossenen Zustand Inschriften auf Rahmen oder Bildrückseiten zu den gemalten Persönlichkeiten auf. Nicht nur selbstbewusste Auftraggeber wollten sich bild- und textlich verewigen, auch die Künstler selbst fingen an, ihre Bilder auf den Rahmen zu datieren und zu signieren.
Hieronymus Zscheckenbürlin und der Tod, Diptychon, 1487, Oberrheinischer Meister
Kunstmuseum Basel, Foto: Wikimedia
Beschriftung: BILDTNVS·IERONIMVS·TSCHECKENBVRLIN·KEIS / ERLICHEN·RECHTEN·LICENTIAT|| CARTHEVSER·ORDENS·SEINES·ALTERS / 26·IOR·ANNO·1487·STARB·LETSTER·PRIOR D / ER·CARTHVS·ANNO·15·36
Übersetzung: Bildnis Hieronymus Tzeckenbürlins, Lizentiats der kaiserlichen Rechte [Des] Karthäuser-Ordens, seines Alters 26 Jahre Anno 1487; Starb [Als] letzter Prior der Karthause Anno 1536
Die prominentesten und frühesten Beispiele sind die Arbeiten von Jan van Eyck. Er signierte viele seiner Bilder auf der unteren oder oberen Leiste des Rahmens nicht nur mit seinem Namen und Datum, sondern malte eine Art graviertes Motto „ALS ICH CAN“ auf das vergoldete Rahmenholz. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum fast alle seiner Bilder mit dem originalen Rahmen erhalten sind. Aber auch Bartholomäus Bruyn dem Jüngeren oder Georg Pencz nannten sich als Urheber auf den Rahmen. Im Gegensatz zu den kurzen Inschriften van Eycks, beschriftete Pencz zweireihig um den ganzen Rahmen. Er malte den Feldhauptmann Sebald Schirmer und stellte textlich zum einen die Verdienste Schirmers heraus und zum anderen die herausragenden Fähigkeiten des Malers, also sich selbst.
Bildnis des Nürnberger Feldhauptmannes Sebald Schirmer, 1545, Georg Pencz
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Foto: Kunstbeziehungen
Dieser Originalzustand, in dem Bild und Rahmen erhalten sind, ist außerordentlich selten. Denn meist wurden die Rahmen über die Jahrhunderte hinweg von ihren Besitzern, Händlern oder Museen gewechselt. Auch bei den aufgeführten Beispielen zu dieser Recherche ist zu prüfen, ob es sich jeweils um den Originalrahmen handelt. Dies lässt sich durch einen Blick auf die Bildrückseite und eine Übersetzung der Texte schnell beantworten. Erst im späten 19. Jahrhundert entwickelten Museen und private Sammler ein Interesse an historischer Authentizität bei der Rahmung ihrer Bilder.
Cassettarahmen, Italien, 1520, Sgraffitotechnik, weiß und schwarz auf Goldgrund
Antike Rahmen Olaf Lemke, Berlin, Foto: Lepkowski Studio
Beschriftung: INTER NATOS / MVLIERVM NON SV / REXIT MAIORI / JOHANNE BAPTISTA (Matthäus 11, 11)
Übersetzung: Unter den von Frauen Geborenen ist kein Größerer erstanden als Johannes der Täufer
Heute stehen die Beschrifteten Rahmen leer und ihre Texte regen zum Diskutieren und „Sehen“ von imaginären Bildern an. Sie geben immer noch wesentliche Informationen vom Bild preis. Das Bildthema, aber auch die Emotion dazu beschreiben die Inschriften sehr bildlich. Ein Indiz dafür, dass die Inschriften zum Gemälde gehörten, ist allein die Nähe der umschließenden Texte. Die ringsum laufenden Wörter scheinen sich mit den Motiven zu verzahnen. Spätestens in unserer Vorstellung vermischen sich textliche und bildliche Information zu einer Geschichte. Allerdings nur wenn man die Texte auch lesen und verstehen kann. Es stellt sich dabei allerdings die Frage, wie Text und Bild zusammenkamen – vom Auftraggeber gestellt, vom Künstler gewählt? Wer brachte die Inschriften auf die Rahmen? und was für einen Unterschied macht der Text überhaupt in unserer Wahrnehmung des Kunstwerkes?
Sollte man den Originalzustand anstreben, Bild und Rahmen wieder vereinen oder gibt es neue Wege, die Rahmen und ihre Inschriften als Kunst zu sehen? Mit imaginären Bildern oder sogar mit neuen, nach den Texten gemalten, modernen Bildern?
Die Beschriftungen der Rahmen und ihre Bilder interessieren mich im Besonderen, weil sie ein Zeugnis der Tradition sind, welche wir heute noch in allen Medien nutzen: die Ergänzung von Bild und Text, um eine Aussage zu verstärken und diese einer breiteren Masse zugänglich zu machen.
Was wir heute allerdings innerhalb von Sekunden digital erstellen, war in der Renaissance ein Arbeitsprozess von Monaten, gar Jahren. Jeder Aspekt der Herstellung war verbunden mit einem spezialisierten Wissen und Handwerk. Diesen Prozess zu beleuchten und im Hinblick auf eine europäische Entwicklung zu vergleichen und zu dokumentieren, umfasst ein breites Spektrum an Forschungsfeldern wie beispielsweise die Epigrafik, das Rahmenhandwerk und die Restaurierung, Religionswissenschaften, Kunstgeschichte und Kunstwissenschaft. Wäre es nicht interessant, anhand der Beschrifteten Bilder-Rahmen die komplexen Zusammenhänge dieser Forschungsfelder zu reflektieren und kollaborativ im „Heute“ zu erarbeiten?
Tanja Lemke-Mahdavi
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Verwendete Literatur und Quellen
Schriftkunst Geschichte, Anatomie und Schönheit der lateinischen Buchstaben, Albert Kapr, Philo-Vlg Verlag der Kunst Amsterdam, 2006
Technique & design in the history of printing, 26 essays by Frans A. Janssen, Brill – Hes & de Graaf, 2004
Privatportraits, Geschichte und Ikonologie einer Gattung im 15. und 16. Jahrhundert, Angelica Dülberg, Gebrüder Mann Verlag Berlin, 1990
Frames, State of the Art, Henrik Bjerre, Statens Museum for Kunst, 2008
Frame Works, Honour and Ornament inItalien Renaissance art, Alison Wright, New Haven : Yale University Press, 2019
Künstlerwerkstätten der Renaissance, Sylvie Beguin, Roberto Cassanelli, Stephen Clancy, Benziger Verlag, 1998
Italien Renaissance Frames, Timothy J. Newbery, George Bisacca, Laurence B. Kanter, The Metropolitan Museum of Art, New York, 1990
Gesichter der Renaissance, Meisterwerke Italienischer Portrait-Kunst, Staatliche Museen zu Berlin, Hirmer Verlag, 2011
Frames and supports in 15th- and 16th-century southern netherlandish painting, Hélène Verougstraete, Royal Institute for Cultural Heritage, Brussels, 2015
The Frame Blog, Lynn Roberts
Deutsche Inschriften Online
Kunstbeziehungen
Digitale Sammlungen: Gemäldegalerie, Berlin; Bode Museum, Berlin; Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Landesmuseum Bonn; Städel Museum, Frankfurt am Main; Pinakothek, München; Louvre, Paris; National Gallery, London; National Gallery Prague; Central Museum Utrecht, Rijksmuseum, Amsterdam, Groeningemuseum, Brügge; Uffizien, Florenz; Museo del Prado, Madrid; Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid